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Deutsch-russisches Projekt / über das Projekt

Hubertus Schröer und das Projekt


Meine Mitwirkung im Projekt basiert auf meinen langjährigen Verwaltungserfahrungen  als Leiter des Stadtjugendamtes München  und meinem über 30-jährigen Engagement in der Migrations- und Integrationsarbeit, wobei insbesondere meine Münchner Erfahrungen mit der interkulturellen Öffnung der Sozialverwaltung  eine gute Basis für die Projektarbeit in Swerdlowsk sind.

Schon der Einstieg in dieses Projekt war geradezu exemplarisch, weil „Fremdheit“ unmittelbar erfahren werden konnte

- Fremdheit der Sprachen
- Fremdheit der verschiedenen Kulturen
- Fremdheit  der unterschiedlichen Verwaltungskulturen

Das Projekt intern kennzeichnen also die gleichen Herausforderungen und Fragen, wie sie das Projekt auch in seinem Auftrag nach außen prägen – die Bewältigung interkultureller Begegnung und die Herstellung von interkultureller Verständigung. Das war es auch, was mich interessiert und neugierig gemacht, was mich zur Mitarbeit bewogen hat.

„Beratung und Austausch“ waren deshalb von Anfang an wesentliche Elemente der gemeinsamen Arbeit. Ich habe viel gelernt über die russische Gesellschaft, die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen und die politische Situation. Und ich habe dabei gelernt, tolerant zu sein und im Rahmen der gegebenen Bedingungen die Ziele des Projektes zu verwirklichen. Zugleich waren diese Verhältnisse aber immer wieder Herausforderungen und Anlass, unsere Erfahrungen aus einer westlichen Gesellschaft mit entwickelten zivilgesellschaftlichen Strukturen und einer sich reformierenden Verwaltung vorzustellen und Anregungen für aus unserer Sicht wichtige Veränderungen zu geben.

„Toleranzförderung der Verwaltung“ war ein weiterer Schwerpunkt meines Teils des Projektauftrages. Schnell wurde deutlich, dass damit das Thema Verwaltung generell auf den Tisch kam. Wie soll eine sehr hierarchische Struktur mit starken bürokratischen Elementen auf tolerante Verhaltensweisen gegenüber Minderheiten umschalten? Warum sollte sich eine Verwaltung überhaupt verändern? Unsere vorsichtige Botschaft war deshalb, dass tolerantes, also ein verändertes Verhalten von Verwaltung zunächst eine Veränderung von Strukturen voraussetzt. Damit war die Verwaltungsreform in Deutschland angesprochen, Themen wie Kunden- und Dienstleistungsorientierung, Zielgerichtetheit von Verwaltungshandeln, Maßnahmeplanung sowie Controlling und Evaluation wurden vorgestellt. Die Rolle der Verwaltung für Reformprozesse, die Aufbau- und Ablauforganisation waren Fragen, die intensiv diskutiert worden sind. In Seminaren mit der Verwaltung, ergänzt um Mitglieder der Zivilgesellschaft und aus den Reihen der Minderheiten konnte auch methodisch produktiv gearbeitet werden. Zunächst in einem Schnupperkurs, dann in einem intensiven zweiwöchigen Training wurden auf der Basis des Programms „Achtung (+) Toleranz“ Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für eine Toleranzförderung ausgebildet. Die Administration des Gouverneurs hat darüber hinaus ein eigenes Kurz-Curriculum für die Verwaltungsschulung entwickelt,

„Migration und Integration“ sind zu weiteren, zunächst so nicht geplanten Schwerpunkten geworden. Es wurde im Verlauf der Gespräche deutlich, dass die Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften zu einer neuen gesellschaftlichen Herausforderung auch in Russland werden wird. Die vielen illegalen Arbeiter auch in Swerdlowsk sind dafür Vorboten. Nach ersten Widerständen, diese Thematik aufzugreifen, kam uns die gesamtrussische Politik zu Hilfe. Präsident Putin hat sehr deutlich formuliert, dass Zuwanderung auch für Russland notwendig ist und die sich daraus ergebenden Herausforderungen rechtzeitig angegangen werden müssen. Damit ergab sich für Swerdlowsk die Chance, an der Spitze einer Entwicklung  zu sein, die offensichtlich politisch von höchster Seite erwartet wird. Wir haben dazu die deutschen Erfahrungen insbesondere der Kommunen vorgestellt, den schwierigen Integrationsbegriff diskutiert und Integrationskonzepte dargelegt. Im Mittelpunkt stand ein Seminar, in dem Methoden vorgestellt und eingeübt wurden, wie ein solches Integrationskonzept erarbeitet werden kann, und welche Inhalte dafür notwendig sind. Ein erster Entwurf  für die Oblast liegt inzwischen vor.

Interessant und erfreulich war gegen Ende des Projekts, wie die einzelnen Elemente, die zunächst wenig miteinander in Verbindung zu stehen schienen, sich immer mehr aufeinander bezogen. Der Zusammenhang von Integrationskonzept (Leitvorstellung, Ziele, Maßnahmen, Strukturen, Finanzen), Netzwerkstrukturen (Koordination und Kooperation, Beteiligung) und Monitoring (Zielerreichung, Wirkungsanalyse, Sozialberichterstattung) wurde deutlich und wird so auch weiter verfolgt. (Siehe Schaubild)


Es liegt jetzt in der Verantwortung der russischen Partner, die Anregungen der gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse nachhaltig zu verankern. Swerdlowsk könnte zu einer Modell-Oblast für Russland werden, weil sie frühzeitig die Herausforderungen einer sich globalisierenden Welt erkannt hat und sich konzeptionell und strukturell auf die sich daraus ergebenden Fragen einstellt. Die Arbeitskräftewanderung nimmt zu, daraus ergeben sich Probleme gesellschaftlicher Integration, das Verhältnis zu den ethnischen Minderheiten könnte neue Belastungen erfahren, die soziale Infrastruktur muss ausgebaut und angepasst werden. Integrationskonzeption, Migrationsberichterstattung, Maßnahmeplanungen und Vernetzungsstrukturen auf der Basis anerkannter Menschenrechte sind die aktuellen Reaktionen auf die neuen Herausforderungen.