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Deutsch-russisches Projekt / über das Projekt

Markus Priesterath und das Projekt


Mein Name ist Markus Priesterath, ich studierte in Bonn bis 1989 Jura, Politik und Geschichte, arbeitete bis Anfang der 90er Jahre freiberuflich u. a. für das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, von 1991 bis Ende 1998 als Referent im Deutschen Bundestag und ab dem 01.01.1999 als Referent im Bundesministerium des Innern.

Dort befasste ich mich  u. a. sehr intensiv mit der Unterstützung der Russlanddeutschen in den Herkunftsländern, der Integration von Spätaussiedlern und ihrer Familien in Deutschland, der Vernetzung von Migranten und ihrer Organisationen sowie Fragen der Kommunikation mit den Behörden und Medien.

Im Rahmen des EU-Twinning – Projektes zur „Förderung von Toleranzstrukturen im Swerdlowsker Oblast“ stand ich als Experte  im Wesentlichen für folgende Bereiche beratend zu Verfügung:

1. Erstellung einer Anfangsanalyse
2. Grundsätzliche Koordination und Absprachen im Projekt
3. Erstellung und Gestaltung der Homepage
4. Vernetzung der Organisationen und Verwaltung
5. Aufbau von Ombudsstrukturen in der Regionen
6. Öffentlichkeitsarbeit  


Die beratende Tätigkeit innerhalb des Projektes in Jekaterinburg und der gesamten Region hat gezeigt, wie eng inzwischen trotz aller unterschiedlichen Entwicklungen auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, sozialer und auch politischer Ebene die Kontakte zwischen Russland und Deutschland geworden sind.

Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit innerhalb des im August 2006 auslaufenden Projektes, die Neugierde auf neue Themen und Bereiche war besonders bei Mitarbeiterinnen der NGO´s und den Strukturen der Administration zu erkennen, die sich im Neuaufbau und/oder der Reorganisation befinden. Verhaltene Begeisterung bis hin zu Vorbehalten waren teilweise aber auch bei staatlich verankerten Strukturen erkennbar. In vielen Bereichen war und ist Überzeugungsarbeit notwendig, um Prozesse zu initiieren oder zu beschleunigen und sich schnell auf neue Problemlagen einzustellen. Als Beispiel sei nur die möglichen Herausforderungen durch einen Anstieg der Migration von Arbeitsmigranten und ihrer Familien, die auf längere Sicht in der Region bleiben wollen, genannt. Wichtig wird es in der Zukunft sein, alle an laufenden Prozessen beteiligte Behörden, Gruppen, Institutionen und Betroffene frühzeitig und Dialog-orientiert einzubinden. Diese Tendenz beinhaltet selbstverständlich Überlegungen, Konzepte und Handlungen, die nicht alleine mit vorhandenen hierarchischen Strukturen zu lösen sind. Es sollte vermieden werden, Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen und ohne diese überhaupt in die notwendigen Diskussionen im Vorfeld einzubeziehen, zu treffen. Es macht Sinn, Strukturen wie z.B. regional verankerte Ombudsleute aufzubauen, wenn diese Personen aufgrund ihrer moralischer Integrität, ihres Wissens und ihrer Kommunikationsfähigkeit und Bereitschaft Anerkennung und Glaubwürdigkeit bei den Behörden und den Menschen  selber genießen. Es ist aber zwingend notwendig, dass diese Personen auch gehört werden und die Möglichkeit haben, den (berechtigten) Bedürfnissen Betroffenen zur Umsetzung zu verhelfen.

Zu den wichtigsten Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Tätigkeit  gehört auch die politische Legitimation und Akzeptanz, die verbindliche Verankerung in legislativen und exekutiven Prozessen, die Gewährleistung der Unabhängigkeit und eine gesicherte Infrastruktur (Personal, Büroräume, Sachmittel usw.)

Von Bedeutung für das gesamte Umfeld in dem sich die Ombudsleute bewegen gehört es auch, dass die Bereiche der „Toleranz“ fester Bestanteil in kommunalen und regionalen Entscheidungen werden.

Es ist nicht ausreichend, „Toleranz“ als „Erdulden“ zu beschreiben und folglich eher passiv andere Gruppen und Menschen als nun mal physisch anwesend zur Kenntnis zu nehmen. „Toleranz“ ist nichts Statisches, tolerantes Verhalten muss geübt, entwickelt und gelebt werden. Es gilt die Rechte des Individuums zu schützen,  in Fällen der Verletzung zu helfen und Strategien zu entwickeln und umzusetzen, um diesen Anspruch in eine gesamt-gesellschaftliche Diskussion einfließen zu lassen. Schutzräume und Rechte müssen ebenso definiert werden wie Pflichten und Grenzen in einer sich als tolerant empfindenden und agierenden Gesellschaft.

Die Definitionen und Sichtweisen hinsichtlich einer „Zivilgesellschaft“ haben in Deutschland und Russland andere Wurzeln, Traditionen, Sichtweisen und Ausprägungen. Das soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden. Einig sollte man sich aber in der Zielsetzung sein, für die Menschen zu handeln und möglichst diese mit einzubeziehen. Das macht Sinn und hilft auch dem Staat und seinen politischen Strukturen, die Akzeptanz für seine Entscheidungen und Handlungen zu erhöhen, Transparenz zu schaffen und damit auch eigene Spielräume zu vergrößern. Entscheidungen im Glashaus führen selten zu gesellschaftlicher Akzeptanz oder gar der Bereitschaft, selber für die Gesellschaft aktiv zu werden und z.B. ehrenamtlich Aufgaben in sozialen oder kulturellen Bereichen zu übernehmen. Gerade hier hat der Staat nicht nur die Möglichkeit, Akzente hin zu einer größeren Öffnung zu der eigenen Bevölkerung zu  setzen, er kann auch durch eigenes ehrenamtliches Engagement der Bürgerinnen in seinen immer komplexer werdenden Aufgaben und Verpflichtungen wenigstens punktuell entlastet werden.

Dies bedeutet aber auch, den interessierten und engagierten Menschen Freiräume zur eigenen Aktivität nicht nur dort zu belassen, wo es genehm ist, sondern auch bewusst an den Stellen Räume nicht einzuengen,  wo durch individuelle Kreativität und Aktivität neue Wege beschritten oder wenigstens ausprobiert werden. Die Menschen müssen dabei die Möglichkeit haben, sich zu treffen, zu artikulieren und zu agieren wo und wann sie wollen. Staatliche Einflussnahme sollte hier nur dann eingesetzt werden, wenn es um die Einhaltung von Gesetzen und der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geht. Die Grenzen der legitimierten Eingriffe sollten sehr eng gefasst, Verstöße von Seiten behördlicher Strukturen in deutlicher Form gerügt und geahndet werden.

Diese Sichtweise bietet die Möglichkeit, das Vertrauensverhältnis zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und ihrem Staat merklich zu verbessern, bedeutet aber auch in vielen Bereichen eine grundlegende Überarbeitung gängiger Position und Praxis.

Über das nun zu Ende gehende Twinning – Projekt hinaus hat der Swerdlowsker Oblast die große Chance, die gemeinsam erarbeiteten Ansätze zum Auf- und Ausbau von Toleranzstrukturen fortzusetzen. Die gemeinsamen Diskussionen, die verschiedenen Wettbewerbe, die vielfältigen Besuche in Deutschland und die diversen Schulungen und Fortbildungen können eine gute Grundlage für weitere Aktivitäten sein. Die gemeinsam konzipierte zweisprachige Homepage, das Migrationskonzept als Grundlage für die Erarbeitung und  Umsetzung einer arbeitsfähigen und akzeptierten Beratungs- und Organisationsstruktur für Migranten und ihre Familien, die Ansätze zur konzeptionellen und praktischen Vernetzung von Behörden, Institutionen und Organisationen sowie der beginnende Ausbau der Ombuds- und Beratungsstrukturen in den Regionen sind nur einige Bereiche, in denen die begonnenen Aktivitäten ausgebaut werden sollten. Ob dabei wiederum auswärtige Unterstützung im Rahmen von Projekten etc. gewünscht wird ist nach jetzigem Sachstand offen.

Die gemeinsame Arbeit war nicht immer einfach; verschiedene Erfahrungen und Diskussions- und Umsetzungsprozesse in der deutschen und der russischen Gesellschaft und Behörden wurden immer wieder deutlich. Oft war die Angst vor Veränderungen und dem damit gemutmaßten Verlust von Autorität und Kontrolle zu spüren, die Besorgnis, dass neue Entwicklungen das eigene Selbstverständnis und Weltbild nachhaltig ins Wanken bringen. Bei vielen Menschen, die im Laufe der 18 Monate in der einen oder anderen Form in die laufende Prozesse und Schulungen involviert waren, wuchs aber auch die Erkenntnis, dass es sinnvoll ist und sich lohnen kann, sich einer verändernden Welt frühzeitig und aktiv zu stellen und damit nicht nur Veränderungen zu „erdulden“, sondern diese mit zu gestalten. Aktives Denken und Handeln im Rahmen des Auf- uns Ausbaus einer sozial verantwortlichen Zivilgesellschaft ist ein hohes Ziel; deren schrittweise Realisierung birgt aber die große Chance, Gemeinsamkeiten weiter zu entwickeln und damit Spannungen abzubauen. Man mag Demokratie und gesellschaftliche Diskussionen und Entwicklungen partiell lenken können, mit menschlichen Gefühlen und Bedürfnissen wird  dies perspektivisch kaum möglich sein. Die Menschen in jeder Gesellschaft, die sich als human empfindet, müssen die Möglichkeit haben, ohne Druck des Staates ihren Wünschen und Bedürfnissen bis zur gesellschaftlich (gesetzlich) legitimierten Grenze nachzugehen, diese mit anderen Menschen zu formulieren und zu leben. Dieser garantierte Freiraum zur und für die eigene Kreativität und Individualität sollte sich nicht nur auf die ganz private Umgebung alleine beziehen, sondern auch auf Aktivitäten für die Gesellschaft und damit den Staat aus dem inneren Bedürfnis heraus, etwas für die Allgemeinheit und „den oder die Anderen“ machen zu wollen.

Einer modernen Administration kann dabei u. a die  Aufgabe zufallen, diese Prozesse und Aktivitäten zu begleiten, teilweise vielleicht auch zu initiieren und nachhaltig zu unterstützen. Sie ist dabei manchmal Lenker und Denker, manchmal auch Initiator und Moderator. Sie sollte aber ihre Rolle nicht auf die hierarchische Kontrolle und straffe Lenkung beschränken. Sie könnte sich dabei selber die Möglichkeit nehmen, an Entwicklungen aktiv teilzuhaben und sich den ständig ändernden Herausforderungen einer Gesellschaft im Aufbruch bewusst und offensiv zu stellen. 
 



 
 
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