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Filipowitsch, Ludmila "Warum braucht das russische Volk Polizeigewerkschaften?"


Hundert Jahre dem, was es nicht gibt? Oder gibt es bei uns echte Gewerkschaften?

Zum hundertjährigen Jubiläum der russischen Gewerkschaften

Warum braucht das russische Volk Polizeigewerkschaften?
Gewerkschaften in den Behörden für Recht und Ordnung sind in der ganzen Welt üblich. Sie wurden in den 40er Jahren nach dem zweiten Weltkrieg gegründet. In Deutschland sind von 250 000 Polizisten 190 000 gewerkschaftlich organisiert. In den USA ist die absolute Mehrheit Mitglied von Gewerkschaften. In England wird jeder Polizeianwärter automatisch Gewerkschaftsmitglied.
Die Führungsspitze ist ebenfalls in Verbänden organisiert, die Vorschläge ausarbeiten und bei den Behörden einreichen, um eine effektivere Arbeit der Polizei zu erreichen. Das wird deshalb gemacht, damit die Polizei selbst sich entwickeln kann. Die Gewerkschaften sorgen dafür, dass die Behörden nicht auf der Stelle treten, abseits von der Gesellschaft. Deshalb ist man in der Welt längst zu der Überzeugung gelangt, dass es in den Polizeiorganen Gewerkschaften geben muss. Das starke Tandem zwischen Führung und Gewerkschaft sorgte für ein hohes Ansehen der Polizisten in der Gesellschaft. Ein solider Verdienst und die gesellschaftliche Unterstützung gewährleisten den Erhalt hochqualifizierter Mitarbeiter. Und das wirkt sich natürlich maximal auf die Effektivität aus, mit der die Einwohner dieser Länder vor Verbrechen geschützt werden.
In Russland wurde es erst 1991 mit dem Gesetz „Über die Polizei“ erlaubt, Gewerkschaften in den Behörden der Inneren Sicherheit zu gründen. Zeitgleich wurden die Politabteilungen, Partei- und Komsomolzenorganisationen abgeschafft, die sich mit Erziehungsproblemen beschäftigt hatten und die Mitarbeiter der Behörden des Inneren rechtlich abgesichert hatten. Aber in den Strukturen des russischen Innenministeriums passierte das, was passieren musste, denn in Russland ist das Innenministerium ein „Staat im Staat“. Die ersten neugeborenen Gewerkschaften, die entstanden, waren mit einer Großzahl von Schwierigkeiten und Problemen konfrontiert. Sie waren nicht jedermanns Geschmack und der Führungsspitze des Russischen Innenministeriums ein Dorn im Auge. Die unerwünschten auf ihre Prinzipien harrenden Polizeigewerkschaften und ihre gewählten Führer fielen bei den Vorgesetzten in Ungnade. 1992 waren in 22 Region Russlands Polizeigewerkschaften gegründet worden, 2005 sind davon nur 2 übrig geblieben: im Gebiet Swerdlowsk und in Moskau. Obwohl die Erfahrung in demokratischen Ländern zeigt, dass die Polizeigewerkschaften 20 Jahre nach ihrer Gründung, in den 60er Jahren, aus den Kinderschuhen heraus waren und sich als reale politische Kraft etablieren konnten. In Russland verlief der Prozess auf andere Weise. Darüber ein Interview mit Michail Pawlow, dem Vorsitzenden der Vereinten Gewerkschaft für Mitarbeiter in den Behörden des Inneren im Gebiet Swerdlowsk.
„Michail Gennadjewitsch, 2005 feiern die russischen Gewerkschaften das hundertjährige Jubiläum der Gewerkschaftsbewegung. In diesem Zusammenhang wollen wir die Aufgaben der Swerdlowsker Polizeigewerkschaft einmal näher beleuchten.“
„Nachdem wir 1992 die Gewerkschaft gegründet hatten, konnten wir unsere Positionen erhalten und ausbauen: Von 7 Personen sind wir auf heute 1300 Gewerkschaftsmitglieder angewachsen. Ich bin der Ansicht, die Uraler Polizeigewerkschaft hat deshalb überlebt, weil sie von Offizieren mit langjähriger Erfahrung gegründet worden war, von der Idee beflissen, dass eine Gewerkschaft gleichermaßen von den Mitarbeitern und der Bevölkerung gebraucht wird, die genau wussten, wie unsere Polizeistruktur aussieht, mit all ihren Vor- und Nachteilen, die die Ansichten und Methoden der Führungskräfte als Reaktion auf die Gewerkschaften vorhersehen konnten. Sie hatten keine Illusionen, wussten, dass es gefährlich sein würde, Gewerkschaftsmitglied zu sein, dass sie eingeschüchtert, bestraft und entlassen werden könnten. Wir haben mit Absicht die ersten Gewerkschaftsführer so gewählt, dass sie unabhängig von der Polizeiführung waren: Veteranen, die in Rente waren, und denen nichts mehr passieren konnte. Der erste Vorsitzende der Gebietsgewerkschaft war Oberst Leonid Sonow, Vorsitzender in Kamyschlow Oberst Anatolij Fertikow, in Kirowgrad Oberstleutnant Sergej Nedobojew. Die Erfahrung hat gezeigt, dass wir die richtige Wahl getroffen hatten und in welcher Richtung wir weiterarbeiten müssen. Wie alle gesellschaftlichen Organisationen wurden wir 1992 im Justiz-Ministerium der Russischen Föderation für das Gebiet Swerdlowsk offiziell registriert.
Um bei den Anfängen zu beginnen, würde ich die damalige Gewerkschaft heute eher als einen Krisenstab bezeichnen. Heute besteht unsere Hauptaktivität (ungefähr 80 Prozent) darin, Prozesse zu führen. Es kommt vor, dass Mitarbeiter der Polizei von Seiten der Staatsanwaltschaft ungerechtfertigt strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt sind, Mitarbeiter werden gesetzwidrig entlassen. Die Mitarbeiter wenden sich an uns, wenn niemand sonst helfen kann, wenn sie sehen, dass sich ihre eigenen Vorgesetzen von ihnen abgewandt haben, in der Befürchtung, das Verhältnis zur Staatsanwaltschaft oder ihren Vorgesetzen zu verderben. Dann kommen sie zu uns. Wir haben nicht das Recht, sie nicht zu unterstützen: Die Polizeigewerkschaft wurde zu diesem Zwecke gegründet, um den Mitarbeitern zu helfen. Wir können nicht zur Seite treten und sie in einer schwierigen Situation sich selbst überlassen, weil wir sehr gut verstehen, dass es auf unsere Autorität ankommt, denn wird führen Entscheidungen nicht durch Macht herbei, sondern durch unsere Autorität, und es geht um ihr Schicksal: entweder im Gefängnis zu sitzen oder in Freiheit zu sein.
Zwei Jahre lang, angefangen 2001, haben wir für 12 Untersuchungsrichter der Jekaterinburger Polizei gekämpft. Der Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation und die Massenmedien haben uns dabei geholfen. Vor dem Obersten Gericht haben wir Recht bekommen. Obwohl diese Arbeit eigentlich vom Landespolizeiamt hätte gemacht werden müssen. Es war von vorneherein klar, dass der Tatbestand eines Verbrechens in den Handlungen der Untersuchungsrichter nicht vorhanden war, man wollte jedoch das Verhältnis zur Staatsanwaltschaft nicht trüben und hat sich deshalb an uns gewandt. Der Fall mit den Jekaterinburger Untersuchungsrichtern wurde zu einer Art Präzedenzfall. Der oberste Gerichtshof der Russischen Föderation veröffentlichte in seinem Bulletin von 2003 eine Erklärung für Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte, dass das Vorgehen der Untersuchungsrichter kein Verbrechen darstelle, und dass man wegen disziplinarischer Verstöße keine Strafprozesse anstrengen dürfe.
Ein anderes Beispiel zeigt ebenso die Möglichkeiten der Polizeigewerkschaft. Als Anfang 2005 gegen 7 Mitarbeiter der Polewskower Polizei Strafanzeige gestellt wurde, hat sich die Offiziersversammlung an uns gewandt. Nachdem wir eine Überprüfung durchgeführt haben, kamen wir zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter zu Unrecht verurteilt worden waren (drei Kriminalbeamte waren zu 8, 7 und 3 Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden). Niemand hat auf die Protestnoten der Polizei reagiert. Außerdem hat sich die Staatsanwaltschaft Polewskoj geweigert, gegen einen der Figuranten in dieser Geschichte Anklage zu erheben; er hatte Hehlerware aus einem Wohnungsausbruch bei sich, leistete Widerstand gegen die Staatsgewalt und verletzte einen der Untersuchungsbeamten. Deshalb waren sie gezwungen, sich an unsere Gewerkschaft zu wenden. Wir haben die Situation analysiert und die Entscheidung getroffen, die Verteidigung zu übernehmen. Am 25. September 2005 wurde ein Bericht im Fernsehen gesendet. Der Minister R. Nurgaliew begann sich für das Problem zu interessieren… Endlich begann man in Polewskoj, der Sache auf den Grund zu gehen. Eine aus sieben Mitarbeitern bestehende Abordnung des Innenministeriums kam nach Polewskoj, Vertreter der Staatsanwaltschaften, mehrmals auch leitende Mitarbeiter des Landespolizeiamtes. Und wir haben unser Ziel erreicht: In der Landespolizeidirektion begann man, sich an die Seite der Polewskower Polizisten zu stellen. Um die Aufmerksamkeit der Behörden und der Bevölkerung auf die Schutzlosigkeit zu lenken, haben wir am 7. Oktober 2005 im Stadtzentrum von Jekaterinburg ein Meeting organisiert und durchgeführt. Über dieses Meeting der Polizeigewerkschaft Jekaterinburg wurde von 5 überregionalen Sendern im ganzen Land berichtet. Wir haben das gemacht, um die negative Entwicklung zu stoppen, jene „erhöhte Aufmerksamkeit“ den Behörden des Inneren gegenüber, wenn in Russland gesetzwidrig massenweise Strafprozesse gegen Polizisten anstrengt werden.“
„Ihr Meeting war in der Tat in aller Munde…“
„Wir haben wie gesetzlich vorgeschrieben 14 Tage vor dem Termin die Jekaterinburger Stadtverwaltung in Kenntnis gesetzt und eine offizielle Erlaubnis bekomme, das Meeting durchzuführen. Aber kurz vor dem Meeting wurde die Erlaubnis ohne Begründung widerrufen und damit gegen das freie Versammlungsrecht von Gewerkschaften und Bürgern verstoßen, das in Artikel 31 der Russischen Verfassung festgeschrieben ist. Nach dem Meeting wurden der Gewerkschaftsführung von Polizeikräften (obwohl wir uns gerade für sie einsetzen) Vorladungen in die Polizeidirektion Werch-Issetskij und vor Gericht zugestellt. Anders als willkürlich kann man das Vorgehen der örtlichen Behörden nicht nennen.
Sofort begann sich der Sekretär des Sicherheitsrates beim Gouverneur des Gebietes Swerdlowsk A. Tarassow für die Gewerkschaften zu interessieren, indem er sich mit einer Eingabe an die Gebietsstaatsanwaltschaft wandte, die Tätigkeiten unserer Organisation zu überprüfen. Mit solchen Methoden will man für Sicherheit sorgen, will man die bürgerliche Gesellschaft aufbauen!“
Blicken wir zehn Jahre zurück. Ein weiteres Beispiel, nur in einem anderen Zusammenhang, wie Mitarbeiter der Polizei von der Gewerkschaft gegen illegales Handeln von Vorgesetzten in Schutz genommen werden. 1995 waren vier Mitarbeiter der Polizei des Stadtbezirkes Tschkalowskij entlassen worden. Sie haben sich an uns gewandt. Wir haben das untersucht und herausgefunden, dass während einer der Dienstreisen nach Tschetschenien, an der der Grenze zwischen Dagestan und Tschetschenien, ein Verbrechen begangen worden war: ein betrunkener Polizeioffizier hatte seinen Sergeanten umgebracht, anschließend sollte alles den Terroristen „untergeschoben“ werden… Es war abgelehnt worden, eine Strafermittlung durchzuführen. Über die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation haben wir jedoch erreicht, dass dennoch ein Strafprozess eingeleitet wurde. Die Leiche des Ermordeten wurde exhumiert, im Körper wurde eine Kugel gefunden, es wurde eine ballistische Expertise durchgeführt, die Waffe festgestellt und wer damit geschossen hat. Damals konnten wir uns übrigens auf die Unterstützung von General Worotnikow verlassen. Das ist ein gutes Beispiel für konstruktive Zusammenarbeit. Auf Anordnung von General Worotnikow wurde damals eine gemeinsame Kommission eingesetzt, und gemeinsam haben wir die Situation aufgeklärt. Der schuldige Mitarbeiter wurde entlassen und verurteilt. Alle vier zu Unrecht verurteilten Mitarbeiter wurden freigesprochen, wieder in den Polizeidienst eingestellt und versehen noch heute ihren Dienst.
„Warum ist die Polizeigewerkschaft, eine gesellschaftliche Einrichtung, effektiver als eine staatliche Struktur, die Personalabteilung der Landespolizeidirektion, die eigentlich für den Schutz ihrer Mitarbeiter verantwortlich wäre?“
„In der Landespolizeidirektion basiert jede Verteidigung eines Mitarbeiters gegen eine rechtswidrige Strafverfolgung auf dem Erlass Nr.765 aus dem Jahre 1998. Darin heißt es, dass, wenn das Vorgehen des Mitarbeiters legal war, für die Verteidigung eine Arbeitsgruppe aus erfahrenen Juristen gebildet werden, Geldmittel zur Organisation der Verteidigung vor Gericht zur Verfügung gestellt werden und ein Ablaufplan der verschiedenen Maßnahmen zu dessen Verteidigung entworfen werden soll. Dieser Mechanismus funktioniert jedoch nicht, und zwar aus einem rein subjektiven Grund: die Vorgesetzten haben kein Interesse daran, sich den Kontakt mit der Staatsanwaltschaft zu verderben. Sie befürchten, für ihren Einsatz könnten sie mit ihrem Posten bezahlen, ihrer Beförderung, ihrer Karriere. Deshalb haben sie Angst! Und wir sehen außer den Gewerkschaften keine Struktur, die Mitarbeiter der Polizei, die in eine solche Situation geraten sind, schützen könnte. Die Gewerkschaft ist einfach unersetzlich.“
„Warum?“
„Weil in Artikel 5 des Gesetzes „Über die Gewerkschaften“ steht, dass wir unabhängig sind, frei, nicht unter der Kontrolle der Gebietsbehörden oder der Stadt stehen. Deshalb können wir mutig und entschieden die Interessen der Mitarbeiter verteidigen. Das sind unsere Erfolge. In 13 Jahren hat die Vereinigte Gewerkschaft 74 Mitarbeiter der Polizei davor bewahrt, zu Unrecht entlassen zu werden, sie hat für die Beendigung von Strafprozessen gesorgt oder Freisprüche erwirkt. Die Gewerkschaft hat bei der Verteidigung dieser Mitarbeiter dafür gesorgt, dass die Gerechtigkeit gesiegt hat. Sie hat die Ehre und Würde, den guten Namen der Mitarbeiter verteidigt, was für einen sich achtenden Menschen den wichtigsten Wert darstellt. Die von der Gewerkschaft durchgeführten Berechnungen zeigen, dass durch die Verteidigung der 74 Mitarbeiter, der Staat ungefähr 40 Millionen Rubel Steuergelder gespart hat, Geld, womit die Polizei finanziert wird (Ausgaben für Personal- und medizinische Kosten, Fortbildung, Ausrüstung, Mittel, die notwendig sind, um einen Mitarbeiter auszubilden, Kompensationen und Vergünstigungen), für jeden Mitarbeiter mit 5 Jahren Berufspraxis werden ungefähr 500 000 Rubel ausgegeben. nach Angaben der Landespolizeidirektion werden durchschnittlich in jedem Jahr von jedem Mitarbeiter, unabhängig vom Dienstgrad, ungefähr 4 Verbrecher festgenommen. In 13 Jahren haben die von den Gewerkschaften verteidigten Mitarbeiter also mehr als 1000 Verbrecher festgenommen, ihren kriminellen Hintergrund abgearbeitet und dafür gesorgt, dass sie keine weiteren Verbrechen begehen können. Dadurch, dass die Verbrecher in der Regel vor der Festnahme mehrer Verbrechen begangen haben, konnten die Mitarbeiter, dank der Gewerkschaften und den Kräften, die sie unterstützt haben, Verbrecher unschädlich machen, hunderte begangener Verbrechen aufklären und verhindern, dass neue Verbrechen gegen Tausende von Bürgern des Gebietes Swerdlowsk begangen werden. Wir – die Gewerkschaft – machen das Leben der Bürger ein bisschen sicherer. Das ist das wichtigste Resultat und die Grundmotivation für das Vorgehen der Gewerkschaftsmitglieder.“
„Ist der soziale Schutz deshalb einer der Hauptaspekte bei Ihrer Arbeit, weil ein armer, hungriger und wohnungsloser Polizist an sich schutzlos ist?“
„Der geringe Verdienst, das Wohnungsproblem, die ständigen Überstunden, all das führt dazu, dass Polizisten mit Familie einfach ihre Kündigung einreichen. Jedes Jahr quittieren 2500 Mitarbeiter ihren Dienst. Das berufliche Niveau sinkt zusehends. Nur zehn Prozent der heutigen Mitarbeiter verfügen über eine juristische Universitätsausbildung. Das ist das wichtigste Indiz für das qualitative Niveau der Mitarbeiter.
Wir müssen feststellen, dass die Landespolizeidirektion in der Regel, warum auch immer, zögert, die Fragen Gehalt, Unterkunft, technische Ausstattung und so weiter in den entsprechenden Behörden zu stellen. Wir als unabhängige Struktur haben Mitte der 90er Jahre nicht nur die Frage gestellt, sondern in unseren Eingaben gefordert, dass die Lohnrückstände beglichen werden müssen, als 1996 der Landespolizeidirektion 30 Millionen Rubel fehlten. Aus dem Ministerium kam ein Brief, sie hätten kein Geld. Aber wir haben uns direkt an den Präsidenten gewandt und nach kaum zwei Wochen waren die Unterlagen bei der Regierung der Russischen Föderation und die Schulden wurden beglichen.
1998 veranstalteten wir ein Meeting und forderten dazu auf, die Lohnrückstände zu begleichen. Für die geschuldeten 81 Millionen Rubel wurde von der Gebietsregierung ein Plan aufgestellt und nach und nach wurden die Gelder ausbezahlt. Zwar wurde nach dem Meeting einer unserer Büroräume auf Anordnung des Landespolizeipräsidenten Kra-jew versiegelt, aber das wichtigste ist doch, dass wir unser Ziel erreicht haben.
Wir lösen aber auch andere Probleme. Kürzlich haben sich 12 Mitarbeiter an die Gewerkschaft gewandt, deren Familien aus einem Studentenwohnheim ausgewiesen werden sollten. Wir haben auch hier Alarm geschlagen. Uns an alle Instanzen gewandt, die Massenmedien eingeschaltet. Als Resultat wohnen die Familien heute noch dort, sie konnten nicht aus dem Wohnheim ausgewiesen werden.
Die Gewerkschaft verfügt auch über neue Möglichkeiten, die Polizei und ihren sozialen Status zu festigen. Laut Gesetz verfügt eine Gewerkschaft über drei mögliche Einnahmequellen: die Gebühren der Mitglieder, Gelder von Sponsoren und Gelder aus eigenen unternehmerischen Tätigkeiten zugunsten ihrer Mitglieder. Gäbe man den Gewerkschaften die Möglichkeit, uneingeschränkt zu handeln, wofür ja alle gesetzlichen Vorraussetzungen geschaffen worden sind, würde sich die Polizei heute in einer weitaus besseren finanziellen Situation befinden. Wir nutzen zum Beispiel Sponsorengelder von Unternehmen und Unternehmern für die Verteidigung von Mitarbeitern und unterstützen Familien von tödlich verunfallten Mitarbeitern. Auf eine Bitte der Landespolizeidirektion hin haben wir Treffen mit Familienangehörigen von durch Unfälle umgekommener Mitarbeiter organisiert und finanziert. Die Gewerkschaft belohnt auch Mitarbeiter für Erfolge, für hohe Aufklärungsraten. Es gibt sehr viele mitfühlende Menschen, die an einer Festigung des Rechtsstaates interessiert sind, deshalb kann die Gewerkschaft ohne gegen Gesetze zu verstoßen, Sponsorengelder annehmen. Dieser Vorgang wird bei uns kontrolliert. Eine Kommission überprüft für welche Zwecke die eingegangenen Gelder verwendet werden.
Es gab bei uns ein sehr gutes Beispiel, als die Polizeigewerkschaft in Bogdanowitsch freiwillige Arbeitseinsätze durchführte und einen eigenen kostenpflichtigen Gewerkschaftsparkplatz organisierte. Mit dem Geld, das dort eingenommen werden konnte, konnte man sogar drei freie Mitarbeiter der Straßenverkehrspolizei bezahlen. Das Geld wurde für Prämien verwendet, für Anwaltshonorare. Aber die Landespolizeidirektion will keine starke Gewerkschaft haben, die finanziell unabhängig ist, deshalb wurde angeordnet, den Parkplatz wieder zu schließen.
Die Gewerkschaften haben noch andere Möglichkeiten, Gelder für die Mitarbeiter der Polizei zu bekommen. Auf einen Vorschlag unserer Polizeigewerkschaft hin, wurde speziell um die Interessen der Mitarbeiter zu schützen, vom Gewerkschaftsbund des Gebietes Swerdlowsk eine Verordnung ins Leben gerufen, in der steht, dass beim Abschluss kollektiver Verträge in großen Unternehmen, vor allem städtebaulicher Art, eine Zuzahlung zum Verdienst der Mitarbeiter der Polizei vorgesehen wird, die das Territorium betreuen, auf dem die Mitarbeiter des Unternehmens wohnen. Und wäre eine Zusammenarbeit mit der Landespolizeidirektion zustande gekommen, hätten wir in der Tat viele Unternehmen zur Umsetzung dieses Punktes in der Verordnung des Gewerkschaftsbundes bewegen können. Aber unsere Initiative findet bei der Landespolizeidirektion keine Unterstützung.“
„Und die Fragen erzieherischer Tätigkeit, Festigung der Disziplin, gehört das auch zu den Aufgaben der Gewerkschaften?“
Die Polizeigewerkschaften wurden ja deshalb in den Strukturen des Innenministeriums aufgebaut, um das entstandene Vakuum der verschwundenen einflussreichen Partei- und Komsomolzenorganisationen auszufüllen. Die Gewerkschaft ist die einzige gesellschaftliche Struktur, die vom Gesetz her in der Struktur des Innenministeriums vorgesehen ist. Sie ist ein Sammelbecken der besten Mitarbeiter mit einer aktiven zivilen Position, sowohl Sergeante als auch Oberste, eine Mischung aus Jung und Alt. Gewerkschaften sind das Fundament für das Kollektiv, gerade sie sind es, die den Mitarbeiterstab zusammenschweißen und ihn disziplinieren. In unserer Geschäftsordnung ist vorgesehen, dass für Verstöße gegen Disziplin, Ethik oder Moral Tadel ausgesprochen werden, Verwarnungen, Verurteilungen. Vorgesehen ist auch die Durchführung von Sitzungen des Gewerkschaftskomitees, Versammlungen, auf denen diese Fragen entschieden werden. Und die Tatsache, dass in den Unterstrukturen die Zahl der Disziplinarverstöße groß ist (jedes Jahr begehen bis zu 200 Polizisten Verbrechen), zeigt, dass eine ernstzunehmende prophylaktische Erziehungsarbeit einfach fehlen muss, wenn an Stelle der alten zerstörten Struktur keine neue aufgebaut werden und den Gewerkschaften der Zugang verwehrt wird. Das alles hat dazu geführt, dass viele Mitbürger Angst haben vor der Polizei, die sie ja eigentlich schützen sollte.“
„Die Operation „Saubere Hände“? Ist das etwa Aufgabe der Polizeigewerkschaften?“
„Natürlich, den wir setzen uns für einen sauberen Mitarbeiterstab ein und sind gegen Verbrechen, die innerhalb der Struktur begangen werden. Diese schändlichen Fakten sind es doch, die das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei trüben, die Polizei ist nur dann stark, wenn man ihr vertraut und ihr Informationen über Verbrechen mitteilt. Ich kann hinzufügen, dass wir in 13 Jahren gegen 8 Mitarbeiter, die Verbrechen begangen haben, Strafprozesse angestrengt haben und so für ihre Verurteilung und Entlassung gesorgt wurde. Im Rahmen unserer Tätigkeit erhalten wir Informationen, die wir überprüfen, an die Staatsanwaltschaft weitergeben, um so für eine Entlassung der „Schwarzen Schafe“ zu sorgen.
Nach der Tragödie in Beslan, haben wir die Ansprache des Präsidenten der Russischen Föderation an die Bevölkerung, dass Korruption die Behörden und Gerichte lähme, ernst genommen,. Aufgrund konkreter Fakten von Korruption einer der ehemals führenden Personen in der Swerdlowsker Gebietsstaatsanwaltschaft haben wir uns mit fotografischen Dokumentationen an den Präsidenten gewandt, an das FSB, die Generalstaatsanwaltschaft, das Innenministerium der Russischen Föderation, den Präsidenten Russlands (sic!).“
„Eine Kommission der Generalstaatsanwaltschaft wurde eingesetzt, überprüfte die Fakten und der Staatsanwalt wurde entlassen?“
„Momentan werden auf Initiative der Gewerkschaft einige Strafprozesse geführt und von der Gebietsstaatsanwaltschaft untersucht, bei denen es um die Veruntreuung von Millionenbeträgen geht. Ich bin der Ansicht, dass sich der eigene Sicherheitsdienst nicht im nötigen Maße gegen Korruption einsetzt, in die leitende Vorgesetzte verwickelt sind, weil dies von den örtlichen Vorgesetzen abhängt.“
„Und was tun Sie für Urlaub und Freizeit der Mitarbeiter?“
„1993 bekam das Landespolizeiamt in einem schwierigen Prozess das wunderbare Haus der Kultur zur Verfügung gestellt. 1997 hat jedoch General Krajew seinen Verzicht darauf zugunsten der Diözese erklärt. Und die Gewerkschaft war die einzige, die den Erhalt des Hauses der Kultur für die Polizei verteidigt hat. Wir haben eine Pressekonferenz durchgeführt, uns an alle Instanzen gewandt und konnten am Ende des Haus der Kultur behalten. 2000 hat sich die Geschichte wiederholt, das Gebäude sollte als Haus der Pioniere genutzt werden. Wir haben wieder erfolgreich gekämpft. Jetzt hat die Landespolizeidirektion aufgrund eines Erlasses des Ministeriums das Haus wieder aufgegeben. Aber wir haben die Fakten überprüft. In jedem Gebiet, mit Ausnahme des Gebietes Swerdlowsk, blieben die Häuser der Kultur im Zuständigkeitsbereich der Polizei. Und wir bestehen also darauf, dass das Haus der Kultur weiterhin der Ort für kulturelle Veranstaltungen der Polizeiangehörigen bleibt. Und nicht nur für sie, auch für die Mitarbeiter des Uraler FSB, der Staatsanwaltschaft, der Mitarbeiter der Gerichte, die kein eigenes Haus der Kultur haben.
In unseren Verantwortungsbereich gehört es eigentlich auch zu kontrollieren, dass die Plätze in den Sanatorien und Erholungsheime des Innenministeriums gerecht verteilt werden. Zu den Informationen, wer die Plätze bekommt, haben wir momentan noch keinen Zugang, aber wir wissen, dass diese Plätze in der Regel nur für die Führungspositionen und deren Familien zur Verfügung stehen, besonders in der Sommerzeit. Einfache Mitarbeiter mit chronischen Leiden haben keine Möglichkeit, einen Platz zu bekommen. Es gibt ohnehin zu wenig Plätze, einen auf 80 Mitarbeiter, deshalb bietet unsere Gewerkschaft den Mitarbeitern kostengünstige, aber gute Erholungsreisen ans Schwarze Meer an.“
„Wäre es schwierig für die Gewerkschaft, ihre Aufgaben ohne die Hilfe der Massenmedien zu erledigen?“
„Als eine ihrer Hauptaufgaben sieht es unsere Gewerkschaft an, die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf die reale Situation und die realen Probleme zu lenken, mit denen unsere Polizei heute konfrontiert ist. Mit diesem Ziel veranstalten wir oft Pressekonferenzen. Darüber wird auch in der Polizeizeitung „Uraler Detektiv“ berichtet, die von der Gewerkschaft herausgegeben wird. Die Landespolizeidirektion hat schon einen sensationellen Erlass herausgegeben, der eine Zusammenarbeit der Mitarbeiter mit den Massenmedien verbietet. Bei der hohen Kriminalitätsrate im Gebiet, hätte die Landespolizeidirektion alle Veranlassung, eine eigene Zeitung herauszugeben, in der sie über den Stand der Aufklärungen informieren, Gesetze kommentieren, Diskussionen durchführen und Berichte über ihre besten Mitarbeiter platzieren könnte. Im Unterschied aber zu der Landespolizeidirektion Moskau, die „Petrowka-38“ herausgibt, und der Landespolizeidirektion in Sankt Petersburg, die Herausgeber des „Kriminalboten“ ist, gibt unsere Landespolizeidirektion keine Zeitung heraus. Studenten und Schüler machen ihre eigenen Zeitungen, aber die Landespolizeidirektion nicht: das ist merkwürdig und nicht sehr weitsichtig.“
„Wie könnte man das Verhältnis zwischen Gewerkschaftsführung und Landespolizeidirektion heute charakterisieren?“
Die grundlegende Schwierigkeit, die besteht, ist der Kampf mit der Gewerkschaft, der Widerstand gegen eine konstruktive Zusammenarbeit. Es gibt die Verfassung der Russischen Föderation, die Gesetze „Über die Polizei“, „Über die Gewerkschaften“, „Über Kollektivverträge“, das regionale Gesetz „Über soziale Partnerschaft“, aber die Gewerkschaft und ihre Führer sind den totalitär orientierten Führungskräften durch ihre andere Position ein Dorn im Auge. Sie finden, es gäbe für eine unabhängige Polizeigewerkschaft, auch wenn deren Vorgehen auf der Grundlage von Gesetzen verläuft, in den Reihen des Innenministeriums keinen Platz. Sie neigen dazu, ihre Position durchzusetzen und sind der Ansicht, dass es die gegensätzliche Meinung der Gewerkschaft nicht geben darf. Selbst wenn diese sich auf Fakten gründet. Darin ist der Grund zu sehen, warum die Polizeigewerkschaften in Russland praktisch liquidiert worden sind.
Die Landespolizeidirektion hat es verboten, dass die Mitgliederbeiträge über die Buchhaltung auf das Konto der Gewerkschaft überwiesen werden können. Die Gewerkschaft selbst wurde von der Gebietsstaatsanwaltschaft, den Steuerbehörden und Inspektionen der Landespolizeidirektion überprüft. Wir sollten auch von der Finanzinspektion der Landespolizeidirektion überprüft werden, aber das wurde von uns abgelehnt, da es in Artikel 24 des Gesetzes „Über die Gewerkschaften“ verboten ist.
Die Druckerei in Rewda, die den „Uraler Detektiv“ druckt, wurde auch überprüft.
Wir finden, dass hier Energien verschwendet werden, die Polizeigewerkschaft kann nur ein Viertel ihres Potentials nutzen. Wenn uns die Machtstrukturen die Möglichkeit gäben, hundertprozentigen Einsatz zu bringen, wenn es nicht ständig Widerstand im Ministerium selbst gäbe, wäre unsere Polizei ehrlicher und professionell auf höherem Niveau. Man sollte nicht untereinander Grabenkämpfe führen, sondern seine Kräfte gemeinsam auf die Bekämpfung von Verbrechen konzentrieren. Alle Behörden, alle Machtstrukturen, alle gesellschaftlichen Organisationen sollten sich im Widerstand gegen die kriminellen Elemente vereinen. Deshalb hat unsere Polizeigewerkschaft auch die Initiative gestartet, ein Bürgerkomitee für den Kampf mit der Kriminalität und zum Schutz der Bürgerrechte zu gründen, das alle Kräfte bündeln soll, zu einem mächtigen Instrument gegen das Verbrechen, einer „Faust“: Unternehmer, Juristen, Journalisten, alle Bürger. Die Polizei wird mit der Kriminalität nicht alleine fertig.
N. Fedorow

Übersetzung aus dem Russischen durch Herrn Alexander Kahl