Erst vor kurzem hat die russische Duma ein restriktives und umstrittenes NGO-Gesetz verabschiedet. Wenige Tage vor dem G-8-Gipfel in St. Petersburg war Putin Gast eines NGO-Forums. Beginn eines Dialogs oder PR-Schachzug?
Drei Tage lang diskutierten Nichtregierungsorganisationen und andere Vertreter der Zivilgesellschaft auf dem Civil-G-8-Forum in Moskau. Die Veranstaltung hatte einen hohen Gast: Der russische Präsident Wladimir Putin kam am zweiten Tag in das luxuriöse Hotel- und Konferenzzentrum Meschdunarodnaja, um mit den Teilnehmern zu diskutieren. Die kräftigen Herren in den dunklen Anzügen und mit grimmig dreinblickender Miene wollten wie gewohnt reagieren, als eine Gruppe von Protestlern aufstand und sich der Menge in T-Shirts präsentierte, auf denen "Keine Atomkraftanlagen" stand. Doch Putin wies seine Sicherheitskräfte an, locker zu bleiben: "Lasst die Leute doch machen, was sie möchten." Das war schon der einzige Zwischenfall, denn die anschließende zweistündige Diskussion verlief eher zahm.
Forderungen an Putin
Die Sprecher der rund 1000 Aktivisten, darunter Vertreter von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, kirchlichen Gruppen und international bekannten Initiativen wie amnesty international, Transparency International oder Greenpeace, stellten dem russischen Präsidenten ihre Forderungen vor - zuallererst die Abkehr vom Atomstrom und die Umstellung auf erneuerbare Energien sowie Einhaltung der Menschenrechte, Geschlechtergleichheit und Kampf gegen Armut. Und der russische Präsident versprach, all diese Anliegen seinen Kollegen beim G-8-Gipfel in zehn Tagen vorzutragen.
Überraschender Vorstoß Russlands
Doch trotz dieser scheinbaren Harmonie hatte die Veranstaltung in Moskau hohe politische Brisanz. Denn ausgerechnet die russische Regierung hat nun als erstes ein offizielles Forum für die NGOs im Rahmen des G-8-Prozesses geschaffen. Eine Überraschung, denn: Vor kurzem erst erließ die Duma, das russische Parlament, ein restriktives NGO-Gesetz, das die Handlungsfähigkeit vieler Organisationen erheblich einschränkt.
Den Vorstoß bewertet der Kanadier John Kirton, Experte für Good Governance an der Universität von Toronto, trotzdem positiv - auch wenn der russische Weg vielleicht ein bisschen anders verlaufe: "Ich denke, dass viele Partner Russlands innerhalb der G-8 denken, Demokratie kann nur so stattfinden, wie es bei der französischen und der amerikanischen Revolution war. Also spontan, von unten, von den Leuten her - gegen ein etabliertes altes Regime. Doch wir sollten uns immer klar machen, dass die zweite russische Revolution, die demokratische Revolution von oben nach unten passierte. Es war Herr Gorbatschow, der entschied, dass die alten Wege nicht mehr funktionieren und der einen Brief and das G-7-Treffen in Paris im Juli 1998 schrieb, in dem stand, wir wollen dabei sein."
Demokratisierung unter Putin
Und so ähnlich könne es ja nun auch bei Putin mit der Demokratisierung weitergehen, meint der Kanadier. Allerdings: Ganz uneigennützig wurde das Civil-G-8-Forum natürlich nicht ins Leben gerufen. Putin will damit vor allem der Kritik aus dem Westen, vornehmlich aus den USA, begegnen, wonach es um die Demokratie im Land immer noch nicht so richtig bestellt und Russland daher noch nicht so ganz als vollwertiges G-8-Mitglied zu betrachten sei.
Dass die russische Regierung den Dialog mit der Zivilgesellschaft als PR-Schachzug und Imagekampagne nutzt, wissen natürlich auch die Vertreter der NGOs. Trotzdem könne das langfristig der russischen Zivilgesellschaft nützen, meint etwa Jürgen Maier vom deutschen Forum für Umwelt und Entwicklung. "Das ist natürlich eine zweischneidige Sache. Die russischen NGOs haben natürlich zurzeit sicher viel Ärger mit dem Kreml. Auf der anderen Seite machen sie bei dieser Veranstaltung eben auch mit, weil sie sagen, wir können jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielen, das ist für uns eine Gelegenheit, hier zivilgesellschaftliche Opposition zu diesen Themen, gerade Energiepolitik, die hier auf dem offiziellen G-8-Gipfel verhandelt werden, deutlich zu machen, hier können wir auch unseren Anspruch unterstreichen, deutlich zu machen, dass das nicht nur eine Frage von Diskussionen unter Regierungen ist, sondern dass das zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren diskutiert werden muss. Hier funktionalisiert eine Seite die andere, die Regierung die NGOs und umgekehrt."
Regierung zeigt sich großzügig
Dass man sich aber keineswegs von der russischen Regierung durch die schicke Konferenz "kaufen" lassen wolle, machte Andrej Oskarowskij von der russischen Umweltorganisation "Ecodefense" klar, die sich vor allem gegen Atomenergie und Atommüll-Importe engagiert. Vielmehr werde man das Recht auf Kritik, das ein jeder Bürger habe, weiter kräftig wahrnehmen: "Natürlich gefällt es mir, wenn sie so ein großes Zusammentreffen bezahlen und uns in ein luxuriöses Hotel einquartieren. Aber wir lassen uns nicht bestechen. Tut uns leid, wir kommen hierher mit unseren Vorstellungen, und die werden wir verteidigen - hier im Hotel genauso, wie wir es auf den Straßen tun."
Gratwanderung zwischen den Seiten
Dass es trotzdem eine Verbindung zur russischen Regierung und ihrer Politik gibt, dafür soll vor allem eine Frau sorgen: Ella Pamfilowa, ehemalige Sozialministerin unter Boris Jelzin, jetzt Vorsitzende des neugegründeten Rates zur Förderung zivilgesellschaftlicher Institute beim russischen Präsidenten und Managerin des Civil-G-8-Forums. Diplomatisch formuliert sie die Gratwanderung zwischen den beiden Seiten, die sie vertritt: "Ich würde sagen, dass jeder Präsident eines mächtigen Landes Nichtregierungsorganisationen zu seinen Verbündeten machen sollte. Denn sie können Korruption stoppen, problematische Themen auf den Tisch bringen. Deshalb ist das sinnvoll für die politische Führung eines jeden Landes. Und ich bin ziemlich sicher, dass unser Präsident das erkannt hat."
Monika Hoegen, Moskau
DW-RADIO, 4.7.2006, Fokus Ost-Südost
Quelle: http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,2081332,00.html